Kurz & knapp Die medizinische Kompressionsstrumpf-Versorgung von phlebologischen und lymphologischen Indikationen bietet durch Rund- und Flachstrick die notwendige Vielfalt für unterschiedliche Ansprüche an Passform und Arbeitsdruck. Die Leitlinien geben klare Empfehlungen für die Verordnung bei CVI, UCV oder Lip-/Lymphödem. Für den Gefäßexperten Prof. Markus Stücker ist hier vor allem die Therapieadhärenz entscheidend. Ein niedrigschwelliger Einstieg, individuelle Zusätze und begleitende Hautpflege können helfen.
Venenbeschwerden·Kompressionsstrümpfe
„Rundstrick ist immer einen Versuch wert“
Passgenaue Kompressionstherapie
Von Bauerfeind Life am 22.07.2025
Welche Unterschiede bestehen zwischen rund- und flachgestrickten medizinischen Kompressionsstrümpfen, und für welche Patienten ist welche Variante geeignet? Diese und weitere Fragen zur Kompressionstherapie beantwortet Prof. Dr. Markus Stücker, Direktor der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie in Bochum und leitender Arzt am Venenzentrum der dermatologischen und gefäßchirurgischen Kliniken Bochum.
Welche Bedeutung hat die Kompressionstherapie grundsätzlich und wie unterscheiden sich rund- und flachgestrickte Kompressionsstrümpfe?
Prof. Stücker: Die Kompressionstherapie ist die Basis jeder phlebologischen und lymphologischen Behandlung, und die Versorgung mit rund- oder auch flachgestrickten Kompressionsstrümpfen ist essenzieller Therapiebestandteil. Die Gestrickvarianten unterscheiden sich hinsichtlich Maschengröße und Maschenzahl. Rundgestrickte Strümpfe werden in runden Strickzylindern gefertigt. Die Maschenzahl ist dabei in allen Strumpfbereichen identisch. Das heißt, wir haben genauso viele Maschen im Fesselbereich, wo das Bein ja typischerweise am schmalsten ist, wie auch am Oberschenkel. Umfangszunahmen werden über eine Änderung der Maschengröße erreicht. Das bedingt, dass automatisch eine Limitation, zum Beispiel bei großen Kalibersprüngen, da ist. Flachgestrickte Strümpfe werden in Reihe auf flachen Maschinen gefertigt. Das Textil wird mit einer Naht geschlossen und so erst zu einem Strumpf. Änderungen des Umfangs werden dadurch erreicht, dass Maschen auf- oder abgenommen werden. So können selbst sehr unregelmäßige Beinformen versorgt werden. Flachgestrickte Kompressionsstrümpfe weisen außerdem eine höhere Wandsteifigkeit auf und sind damit eine gute Therapieoption bei Indikationen, die eine kräftige, formstabile Kompression benötigen, wie bei einem Lymph- oder Lipödem.

Wann sollte ein rundgestrickter Kompressionsstrumpf verordnet werden und wann nicht?
Prof. Stücker: Der Rundstrickstrumpf ist der Standardstrumpf und für die meisten Patienten mit chronischer Veneninsuffizienz gut geeignet. Rundstrick ist also immer einen Versuch wert und stellt, wo er funktioniert, eine sinnvolle Versorgung dar. Es gibt jedoch zwei technisch bedingte Situationen, in denen ein rundgestrickter Strumpf nicht funktioniert. Das ist zum einen bei den schon genannten großen Kalibersprüngen. Davon spricht man, wenn auf einen Zentimeter Länge mehr als ein Zentimeter Umfang kommt, also regelrecht Stufen im Bein sind. Eine weitere Situation zeigt sich, wenn der Oberschenkel im Verhältnis zur Fessel deutlich voluminöser ist. Als Faustregel gilt: Übersteigt der Umfang des Oberschenkels das Zweieinhalbfache des Fesselumfangs, lässt sich mit Rundstrick keine ausreichende Passform mehr erzielen. Dann ist Flachstrick angesagt, mit einer auf die Gegebenheiten angepassten Maschenzahl.

Wann ist ein flachgestrickter Kompressionsstrumpf außerdem die bessere Wahl?
Prof. Stücker: Bei einem primären Lymphödem mit Schwellungen im Bereich von Zehen und Fuß ist gerade im Fußrückenbereich häufig mit einem Rundstrickstrumpf kein ausreichender Druck zu erzielen. Flachgestrickte Strümpfe sind hier deutlich im Vorteil, weil sie durch ihre höhere Wandsteifigkeit auch bei moderatem Anpressdruck einen guten Massageeffekt in Bewegung erzeugen, der gerade an diesen schwierigen Stellen wirkt. Der Massageeffekt ist bei Lymphödemen besonders wichtig. In frühen Stadien kann man es manchmal noch mit einem Rundstrickstrumpf versuchen. Aber sobald Zehen und Fuß mitbetroffen sind, führt an Flachstrick meist kein Weg vorbei. Das gilt übrigens auch für andere Indikationen, wie stark adipöse Beine mit ausgeprägten Umfangsunterschieden oder bei fortgeschrittener chronischer Veneninsuffizienz mit Flaschenbeinbildung oder anderen Deformitäten im Bereich des Unterschenkels – auch da reicht ein Rundstrickstrumpf in der Regel nicht mehr aus.

Wie beurteilen Sie den Nutzen von Zusätzen bei einer flachgestrickten Versorgung, wie beispielsweise ein schräger Knieabschluss oder eine Spannerweiterung?
Prof. Stücker: Diese Zusätze sind absolut sinnvoll, denn sie ermöglichen oft erst die Versorgung komplizierter Beinformen und sichern die Wirksamkeit. Ohne die Zusätze lässt sich ein Flachstrickstrumpf häufig nicht so anpassen, dass er vom Patienten auch tatsächlich adhärent getragen wird. Insgesamt gibt es über 1.000 Kombinationsmöglichkeiten von Produktausführungen und Zusätzen, um den Patienten individuell versorgen zu können. Es geht nicht, alle nötigen Zusätze primär auf dem Rezept zu vermerken. Umso wichtiger ist in diesem Falle die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Fachgeschäft, das mit einem Maßbestellblock arbeitet. Als Arzt ist man in der Regel gut beraten, auf die Vorschläge, die das Fachgeschäft hinsichtlich notwendiger Zusätze für die Versorgung macht, einzugehen. Die Kompressionsversorgung inklusive der Zusätze erfordert zudem ein spezielles Vermessen, für das der Fachhandel explizit geschult ist.

Welche weiteren Faktoren sind entscheidend für den Erfolg der Kompressionstherapie?
Prof. Stücker: Zunächst muss das Ziel klar sein: Dem Patienten muss es mit Strumpf besser gehen als ohne. Dabei darf man nicht stur auf eine hohe Kompressionsklasse pochen, wenn Klasse 1 bereits Linderung bringt und der Patient den Strumpf gerne trägt. Dialog und Therapieadhärenz sind zentral. Patienten, die mit Klasse 1 zufrieden sind, sind später eher bereit, auch höhere Klassen zu tragen, sollte dies notwendig werden. Wichtig ist auch, dass man von Anfang an auf die Langfristigkeit der Anwendung hinweist, ebenso wie auf Hautirritationen als häufigste Komplikation. Etwa 50 Prozent der Patienten klagen über Juckreiz unter Kompressionsstrümpfen. Dieser entsteht durch mechanische Reibung, nicht durch Allergien. In dem Zusammenhang sollte auch auf die Hautpflege frühzeitig hingewiesen werden, um die Adhärenz zu steigern.

In welchen Fällen ist Kompressionsklasse 1 ausreichend?
Prof. Stücker: Die Kompressionsklasse 1 hat einen Ruhedruck von 18 bis 21 mmHg und reicht oft aus, um Symptome zu lindern und die Lebensqualität zu verbessern, was ja die wesentlichen Ziele der Kompressionstherapie sind. Man sollte generell immer mit der niedrigsten Klasse beginnen und prüfen, ob die Beschwerden gelindert werden. Klasse-1-Strümpfe sind nicht, wie häufig angenommen, lediglich ein besserer Thromboseprophylaxestrumpf, sondern durchaus geeignete Kompressionsstrümpfe mit signifikanter Wirkung. Studien[1] zeigen zudem, dass sie deutlich leichter anzulegen sind als Strümpfe der Klasse 2.
Welche Rolle spielt die neue Leitlinie zur medizinischen Kompressionstherapie, und was gilt für die Kostenübernahme?
Prof. Stücker: Die Leitlinie gibt klare Empfehlungen, wann Rund- oder Flachstrickstrümpfe zum Einsatz kommen sollen und dient als Nachschlagewerk für Praxen und Sanitätshäuser. Bei der Versorgung mit Flachstrickstrümpfen muss die Krankenkasse in der Regel vorab zustimmen. Als Begründung ist es sinnvoll zu vermerken, dass eine Beinversorgung mit Rundstrick rein technisch schlichtweg nicht möglich ist, was ja gerade bei adipösen Beinen wie auch beim Lipödem sehr häufig der Fall ist. Die Verordnung von Kompressionsstrümpfen und Anziehhilfen belastet grundsätzlich nicht das Arznei- und Heilmittelbudget.
[1] J. Goetz, E. Kaisermayer, H. Haase, M. Jünger, H. Riebe: Better wearing comfort of knee-length elastic compression stockings with an interface pressure of 18–21 mmHg compared to 23–32 mmHg in elderly people after a one day trial – influence of foot deformities, rheumatism and arthritis. Clin Hemorheol Microcirc. 2019; E. Kaisermayer: Dissertation Universitätsmedizin Greifswald, 2016.

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