Kompressionsstrümpfe·Ulcus Cruris Venosum

Adhärenz durch Aufklärung

Studie zur Patientenedukation

Von Bauerfeind Life Magazin am 17.06.2020

Kurz & knapp In einer Studie untersuchten Kerstin Protz et al., welchen Beitrag eine Broschüre über Kompressionstherapie bei Patienten mit Ulcus cruris venosum (UCV) zur Patientenedukation leisten kann.

  • Das Hauptproblem bei UCV-Patienten liegt darin, ein Bewusstsein für die Erkrankung und für die Hintergründe der Therapie zu entwickeln.
  • Nur ein informierter Patient kann als gleichberechtigter Partner konstruktiv am Behandlungsprozess teilnehmen.
  • Die Fallgruppe aus der Studie profitierte deutlich von der Patientenbroschüre. In allen untersuchten Bereichen zeigte sich ein deutlicher Wissenszuwachs gegenüber der Kontrollgruppe.

Beim Ulcus cruris venosum kommt dem Selbst­management der Betroffenen eine bedeutende Rolle zu. Welchen Beitrag dazu Patienten­broschüren leisten können, untersuchte Wundexpertin Kerstin Protz, die unter anderem als Projekt­managerin für Wundforschung am Universitäts­klinikum Hamburg-Eppendorf tätig ist.

life: Was ist das Hauptproblem bei der Therapie von Menschen mit einem Ulcus cruris venosum?

Kerstin Protz: Die eigentliche Herausforderung liegt darin, ein Bewusstsein für die Erkrankung selbst zu entwickeln. Oft denken die Betroffenen, dass ihre Wunde am Bein durch ein bestimmtes Ereignis, wie etwa einen Stoß am Einkaufswagen oder durch eine Abschürfung, entstanden ist. Sie wissen nicht, dass ein Gefäßproblem, wie in diesem Fall eine chronisch venöse Insuffizienz, zugrunde liegt. Hier bedarf es weiterführender Aufklärung, um ein Krankheitsverständnis und darauf aufbauend eine Akzeptanz gegenüber der Therapie zu entwickeln.

„Nur ein informierter Patient kann konstruktiv
am Behandlungsprozess teilnehmen.“
Kerstin Protz

Kerstin Protz ist u. a. Vorstandsmitglied
im Wundzentrum Hamburg e. V. und Beirats­mitglied in der Initiative Chronische Wunden (ICW) e. V.

Wie steht es denn Ihrer Meinung nach mit der Akzeptanz der Patienten gegenüber der Kompressionstherapie?

Kerstin Protz: Damit tun sich viele Patienten schwer. Insbesondere zu Beginn, in der Entstauungsphase, werden die meist dicken Bindenbandagierungen, die zudem schnell verrutschen und Schuhprobleme bedeuten, oft abgelehnt. Darüber hinaus wendet jeder Versorger Kurzzugbinden anders an, was zu Irritationen auf Patientenseite führen kann. Dann hört man Sätze wie: „Gestern hat Ihre Kollegin das aber anders und mit weniger Druck gemacht!“ Auch bei der Akzeptanz gegenüber medizinischen Kompressionsstrümpfen, die in der Erhaltungsphase und zur Prävention zum Einsatz kommen, besteht Verbesserungsbedarf.
Die Voraussetzung für die Adhärenz des Patienten ist, dass der Betroffene die Gründe, den Nutzen und die sachgerechte Durchführung der erforderlichen Therapiemaßnahmen kennt. Nur ein informierter Patient kann als gleichberechtigter Partner konstruktiv am Behandlungsprozess teilnehmen. Hierfür sollten die Betroffenen wissen, welche Faktoren das Krankheitsbild begünstigen, wie Kompressionstherapie wirkt, welche Möglichkeiten der Selbstpflege es gibt und vieles mehr. Einen Beitrag dazu können Patientenbroschüren leisten. Wenn sie entsprechend gestaltet sind und relevante Themen und Fachkenntnisse gut verständlich vermitteln, verbessern Broschüren die Zufriedenheit und Therapieakzeptanz der Patienten. Allerdings stehen solche Broschüren nie für sich allein, sondern sind stets nur ein Bestandteil des edukativen Prozesses.

Mit einer 2019 veröffentlichten Studie1 haben Sie dargelegt, dass eine Patientenbroschüre die Arbeit von therapeutischem und pflegerischem Personal unterstützen kann. Welche Themenbereiche wurden dazu abgefragt?

Kerstin Protz: In der Studie haben wir untersucht, ob und wie 136 deutsche und österreichische Patienten mit Ulcus cruris venosum und Kompressionstherapie von der Verwendung einer Broschüre profitieren. Die Fallgruppe füllte einen Patientenfragebogen nach Lektüre der Broschüre2 aus, die Kontrollgruppe beantwortete die Fragen ohne vorher die Broschüre gelesen zu haben. Unser Patientenfragebogen stellte eingangs sechs Fragen zur Einschätzung der subjektiven Kenntnisse zur Kompressionstherapie. Dabei wurden theoretisches und praktisches Wissen zu Wirkweise, Produkten und dem Umgang damit abgefragt. Danach folgten 13 reine Wissensfragen zu Auswirkungen der Kompressionstherapie, Risikofaktoren für Venenerkrankungen, Maßnahmen zur Selbstpflege, Möglichkeiten der Selbstversorgung, Nutzung von An- und Ausziehhilfen, Haut- und Materialpflege und Venensport. Zudem wurde auch die Dauer des Ulcus cruris venosum erfragt.


Was ist Ihr Hauptfazit?

Kerstin Protz: Insgesamt haben die Patienten durch Lektüre der Broschüre erfreulicherweise in allen genannten Bereichen einen deutlichen Wissenszuwachs erhalten. So wussten beispielsweise 98,5 Prozent der Patienten aus der Fallgruppe, dass Kompressionstherapie die Wundheilung verbessert, während 56,9 Prozent der Kontrollgruppenpatienten dies nicht bekannt war. Dass die Kompressionstherapie einem Wiederauftreten von Wunden vorbeugt, gaben nur 32,4 Prozent aus der Kontrollgruppe korrekt an, in der Fallgruppe hingegen vier von fünf Befragten. Vielleicht noch ein weiteres Beispiel: Die meisten in der Fallgruppe wussten, dass Kompressionsstrumpfträger regelmäßig die Hornhaut an den Füßen entfernen (86,8 Prozent) sowie die Finger- und Fußnägel kürzen sollten (85,3 Prozent), während 83,8 Prozent aus der Kontrollgruppe beides für nicht so wichtig erachteten. Vor dem Hintergrund, dass in Deutschland nur ein Paar medizinische Kompressionsstrümpfe pro Halbjahr erstattet wird, kein unwesentlicher Gesichtspunkt. Die Ergebnisse unserer Studie zeigen, dass eine Schulung mit Hilfe einer Broschüre dem Patienten verständlich macht, wie notwendige Maßnahmen mit den Therapiezielen zusammenhängen – in diesem Fall die Kompressionstherapie. Wenn die Patienten solche Zusammenhänge erkennen, führt dies dazu, dass die Therapiemaßnahmen deutlich besser eingehalten werden.

Welche Ergebnisse haben Sie überrascht?

Kerstin Protz: Erschreckend waren die innerhalb der Studie erhaltenen Zahlen hinsichtlich der Bestandsdauer des jeweiligen Ulcus cruris venosum: Über 40 Prozent der befragten Patienten hatten ihr Ulkus bereits seit über sieben Monaten, über 25 Prozent sogar sieben bis zwölf Monate und mehr als 13 Prozent über ein Jahr. Dies sind relativ lange Verläufe, die zusätzlich die Lebensqualität der Betroffenen und ihre Therapieadhärenz einschränken. Diese Werte deuten darauf hin, dass hinsichtlich der Versorgung dieses Krankheitsbildes noch einiges getan werden muss.

1  Protz, K. et al: Education in people with venous leg ulcers based on a brochure about compression therapy:
A quasi-randomised controlled trial. Int Wound J. 2019 Dec; 16(6): 1252–1262.

2  „Kompressionstherapie einfach – tragbar“ des Wundzentrums Hamburg e. V., 2018. Download unter www.wundzentrum-hamburg.de


Bilder: Kerstin Protz (Hamburg), Shutterstock.com/Tatyana Soares

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