Kompressionsstrümpfe
Die Formel fürs Wohlbefinden
Tragekomfort von Mikrofaserprodukten
Von Bauerfeind Life Magazin

Wer sich mit Bekleidung beschäftigt, kommt an den Hohenstein Instituten, dem international anerkannten Textilforschungs- und Dienstleistungszentrum nahe Heilbronn, nicht vorbei. life besuchte die Wächter der Qualität. Im Gespräch mit Dr. Andreas Schmidt (Direktor der Abteilung Function and Care) und Prof. Dr. Karl-Heinz Umbach (langjähriger stellvertretender Leiter des bekleidungsphysiologischen Instituts und heute wissenschaftlicher Berater) ging es um Mikrofasern und wie man Tragekomfort bei Kompressionsstrümpfen messen kann.
Synthetische Fasern hatten lange einen schlechten Ruf. Herr Prof. Dr. Umbach, hätten Sie 1976, als Sie an das Institut kamen, gedacht, dass Mikrofasern einen solchen Siegeszug führen würden?
Prof. Dr. Umbach: Ich habe ja sogar versucht, den Siegeszug herbeizurufen. Denn in meinen Forschungsarbeiten konnte ich schnell feststellen, dass immer dann, wenn der Mensch stärker schwitzt, ein hoher Feuchtetransport und weniger eine hohe Feuchteaufnahme für den resultierenden Tragekomfort wesentlich ist. Hier erschienen mir Synthetikfasern, die die Feuchte weiterleiten, weit besser geeignet. Heute finden Sie praktisch keine Funktionswäsche mehr aus 100 Prozent Baumwolle.
Dr. Schmidt: Das eigentliche Problem bei den synthetischen Fasern war, dass man erst Erfahrungen sammeln musste. Sie kennen sicherlich noch die ersten Nyltesthemden aus Polyamid. Da wurde praktisch alles falsch gemacht, was man nur falsch machen konnte. Bei Synthetics muss jeder Parameter bei der Konstruktion – wir sprechen hier von circa 15 bis 20 Parametern – auf den Anwendungszweck abgestimmt sein. Das fängt mit der Faserfeinheit an, geht über den Faserquerschnitt, die Garndrehung, die Gewebe- und Oberflächenstruktur bis hin zur Ausrüstung. Wenn man nur einen Parameter falsch wählt, können daraus schlechte Trageeigenschaften resultieren.
Was ist der Hauptvorteil moderner Mikrofasern?
Prof. Dr. Umbach: Sie sind besonders vorteilhaft in Tragesituationen, in denen man stark schwitzt und es darauf ankommt, dass zum einen Wasserdampf und flüssiger Schweiß möglichst schnell vom Körper wegtransportiert werden und zum anderen die Kleidung in Ruhephasen nicht lange nass bleibt. Der Mensch schwitzt ja aus dem Grunde, damit der Körper durch Verdampfen des Schweißes an der Hautoberfläche gekühlt wird. Diese Kühlung tritt aber nur ein, wenn der Schweiß nicht flüssig am Körper herabrinnt. Ich führe immer gerne folgendes Beispiel an: Ca. 49 Prozent aller Todesfälle bei Feuerwehrleuten in den USA kommen nicht durch mechanische Verletzungen oder Feuer zustande, sondern durch Kreislaufkollaps infolge physiologischer Überbelastung, wozu ungeeignete Kleidung auch einen wesentlichen Beitrag liefert. Kleidung kann, wenn man so will , also tödlich sein, wenn sie nicht richtig konstruiert ist. Allerdings sind physiologisch optimale Konstruktionen manchmal nicht möglich, weil dann andere Konstruktionseigenschaften, die man braucht, beeinträchtigt werden. Ein Chirurg soll bei der OP beispielsweise nicht mit Körperflüssigkeiten des Patienten in Kontakt kommen und der Patient nicht mit dem Schweiß des Operateurs. Die OP-Kleidung muss daher komplett flüssigkeitsdicht sein. Der Tragekomfort ist dann natürlich beeinträchtigt.
Wie können Sie den Tragekomfort von Textilien, der ja sicherlich subjektiv ist, überhaupt testen?
Dr. Schmidt: Beim Tragekomfort spielen sowohl der thermophysiologische als auch der hautsensorische Komfort eine Rolle. Für unsere Tragekomfortsiegel führen wir sowohl Konsumentenbefragungen als auch Trageversuche sowie Messungen mit speziellen physiologischen Prüfapparaturen durch. Zum Beispiel begeben sich mit Temperatur- und Feuchtesensoren ausgestattete Versuchspersonen in eine Klimakammer und üben dort verschiedene Aktivitäten aus. Wir testen dabei die Schweißproduktion, die Wärmeisolation der Textilien etc. Auf der anderen Seite haben wir spezielle Messinstrumente – wie etwa das Hohensteiner Hautmodell oder die thermische Gliederpuppe Charlie –, mit denen sich sehr viele verschiedene Parameter bestimmen lassen.
Prof. Dr. Umbach: Sie sagten, der Tragekomfort sei subjektiv. Das ist so nicht ganz richtig. Die Forschung, die wir 1976 begonnen haben, zielte darauf ab, eine Korrelation zwischen den objektiven Körperfunktionsdaten des Menschen und seinen subjektiven Empfindungen herzustellen. Es war zu Beginn nicht klar, ob es eine solche Korrelation gibt. Im Laufe der Jahre wurden dann Tausende Trageversuche durchgeführt. Gleichzeitig fanden mit denselben Kleidungsstücken Dummyuntersuchungen mit unserer thermischen Gliederpuppe Charlie oder mit dem Hautmodell statt. Auf diese Weise haben wir nach und nach eindeutige Korrelationen zwischen den Messresultaten und dem menschlichen Empfinden herstellen können. Wenn man jedoch dem Verbraucher sagt, die Kleidung hat einen guten Wasserdampfdurchgangswiderstand oder eine gute Hautsensorik, hat er nichts davon. Ich wollte das Ganze in Zahlen ausdrücken, die jeder versteht: in Schulnoten. So entwickelten wir Formeln, in die man die entsprechenden Messgrößen einsetzt und so eine Note für den Tragekomfort bekommt.Selbstverständlich können die Formeln und die Auswertungsmethodiken nicht für alle Kleidungsstücke dieselben sein.

Und wie sieht es konkret bei Kompressionsstrümpfen aus?
Prof. Dr. Umbach: Ursprünglich war für diese Produkte keine Formel vorgesehen, da die Strümpfe ja sehr eng anliegen müssen, ummedizinisch wirksam zu sein, was zu einem gewissen Maße den Tragekomfort beeinträchtigt. Ein wesentlicher Aspekt bei Kompressionsstrümpfen ist jedoch die Thermophysiologie – und die lässt sich hervorragend messen. Wir prüfen daher u. a. das Wasserdampftransportvermögen oder die Aufnahme und den Transport von flüssigem Schweiß.
Was erwarten Sie von den Mikrofasern der Zukunft? Welche Parameter werden noch wichtiger?
Dr. Schmidt: Bei der Faserfeinheit hat man vermutlich fast alles ausgereizt, was machbar ist, ohne die Stabilität zu gefährden. Aber der Faserquerschnitt könnte noch optimiert werden. Für guten Schweißtransport ist möglichst viel Faseroberfläche notwendig. So hat z. B. eine Faser in Hantelform eine deutlich größere Oberfläche als eine kreisrunde Faser. Und auch bei der Ausrüstung der Fasern wird sicherlich noch einiges zu erwarten sein.
Prof. Dr. Umbach: Ich persönlich warte ja immer noch darauf, dass es irgendwann mal gelingt, aktive Kleidung herzustellen. Das heißt Textilmaterialien, die ihre Wärmeisolation verändern und sich zusammen mit dem Feuchtetransportvermögen aktiv an die Tragesituation anpassen.
Bilder: Conny Kurz
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