Kompressionsstrümpfe

Risikoadaptiertes Vorgehen gefragt

Kompression während und nach der Schwangerschaft

Von Bauerfeind Life Magazin am 17.06.2020

Kurz & knapp Während Schwangerschaft und Wochenbett besteht ein rund sechsfach höheres Thromboserisiko.

  • Ein langsamerer Blutfluss, eine Veränderung der Gefäßwand und Veränderung bei der Blutzusammensetzung sind wesentliche Gründe dafür.
  • Je nach weiteren persönlichen Risikofaktoren der Schwangeren empfiehlt der Jenaer Geburtsmediziner Prof. Dr. med. Ekkehard Schleußner Kompressionsstrümpfe zur Thromboseprophylaxe.
  • Darüber hinaus sind Kompressionsstrümpfe zur symptomatischen Therapie, etwa bei Ödemen, angezeigt.

In der Schwangerschaft steigt die Gefahr für ein thromboembolisches Ereignis. Warum das so ist und wann medizinische Kompressionsstrümpfe in der Schwangerschaft angezeigt sind, erläutert Prof. Dr. med. Ekkehard Schleußner, Direktor der Klinik für Geburtsmedizin am Universitätsklinikum Jena.

life: Weshalb neigen Schwangere häufiger zu Thrombosen?

Prof. Schleußner: Das hat in erster Linie mit den hormonellen Veränderungen zu tun. Die Schwangerschaft ist ein hyperkoagulatorischer Zustand, was entwicklungsgeschichtlich ja auch Sinn macht. Denn das größte Risiko in der Schwangerschaft und bei der Geburt besteht – übrigens noch heute – darin, an einer Blutung zu sterben. Durch die hormonellen Veränderungen, insbesondere einen höheren Östrogenspiegel, lässt sich ein Anstieg der in der Leber gebildeten Gerinnungsfaktoren verzeichnen, während gleichzeitig die gerinnungshemmenden Faktoren abnehmen.
Darüber hinaus verändert sich auch die Gefäßwand. Nicht nur, da mehr Gerinnungsfaktoren vorliegen und die Andockstellen dafür an den Gefäßwänden aktiver sind; auch die Muskulatur der peripheren Gefäße wird weiter gestellt, der Tonus der Blutgefäße lässt nach. Dadurch kommt es wiederum zu einem langsameren Blutfluss.
Und schließlich wird bei fortschreitender Schwangerschaft der venöse Rückfluss aus den unteren Extremitäten erschwert, da die wachsende Gebärmutter auf die untere Hohlvene drückt. Der schlechtere Rückfluss dehnt wiederum die Gefäße auf etc. Diese schon von Virchow genannten Faktoren – langsamerer Blutfluss, Veränderung der Gefäßwand und Veränderung der Blutzusammensetzung – sind die wesentlichen Gründe dafür, warum das Thromboserisiko bei Schwangeren etwa sechsfach erhöht ist.
Die gefährlichste Zeit ist, abgesehen von der Geburt, allerdings das Wochenbett. Umstellungen im Hormonhaushalt, Blutverlust durch die Geburt und eine veränderte Blutzusammensetzung sowie Bettlägerigkeit, vor allem bei einem Kaiserschnitt, tragen unter anderem dazu bei, dass in den ersten sechs Wochen nach der Geburt zahlenmäßig gesehen genauso viele thromboembolische Ereignisse auftreten wie in den neun Monaten zuvor. Und bislang haben wir noch nicht von den individuellen Risikofaktoren gesprochen, die die Frauen gegebenenfalls zusätzlich mitbringen.

An welche weiteren Risikofaktoren denken Sie?

Prof. Schleußner: Ein wesentlicher Faktor ist das Alter. Als ich ein junger Arzt war, lag das durchschnittliche Alter der Mutter bei der Geburt des Kindes bei 23 Jahren, heute sind wir bei 32 Jahren. Darüber hinaus bringen die Frauen mit zunehmendem Alter auch häufiger weitere persönliche Risikofaktoren mit, wie zum Beispiel Krampfadern oder vorangegangene thromboembolische Ereignisse. Ein weiterer Risikofaktor, der enorm zugenommen hat, ist Übergewicht. Bei uns in Thüringen betrifft das mittlerweile etwa jede vierte Schwangere, etwa jede sechste hat sogar Adipositas. Eine Hormontherapie bei Kinderwunsch und eine künstliche Befruchtung erhöhen das Risiko für ein thromboembolisches Ereignis nochmals etwa um das Zweifache.
Und dann gibt es noch angeborene oder erworbene thrombophile Faktoren, wie zum Beispiel die Faktor-V-Leiden-Mutation, das Antiphospholipid-Syndrom oder Störungen bei den Regulationsfaktoren Protein S und Protein C.

„In den ersten sechs Wochen nach der Geburt treten zahlenmäßig
genauso viele thromboembolische Ereignisse auf wie in den neun Monaten zuvor.“
Prof. Ekkehard Schleußner

Wie sollten Schwangere und Ärzte auf ein höheres Thromboserisiko reagieren?

Prof. Schleußner: Die Frauen sollten sich möglichst bis zum Geburtstermin viel bewegen und auch viel trinken. Unter anderem, weil die Nieren stärker durchblutet werden und sich mehr Urin bildet. Für Ärzte gilt es, bei bestimmten Risikokonstellationen konsequent zu handeln. Wenn beispielsweise eine Schwangere Krampfadern hat oder Ödeme entwickelt, sollte man in jedem Fall eine Kompressionstherapie durchführen.

Wann raten Sie ganz konkret zu medizinischen Kompressionsstrümpfen?

Prof. Schleußner: Zum einen als sympto­matische Therapie, wenn die Frauen Beschwerden wie schwere, schmerzende Beine bzw. Ödeme haben. Das ist gerade zum Ende der Schwangerschaft bei einer ganzen Reihe von Frauen der Fall. Sie profitieren dann nicht nur fürs Wohlbefinden von den Strümpfen, sondern zugleich auch von einer Thromboseprophylaxe.
Zum anderen natürlich bei allen, die entsprechende Risikofaktoren aufweisen: sei es eine familiäre Belastung mit Thrombosen bzw. eine vorangegangene Thrombose, eine Thrombophlebitis, Varikosen, Präeklampsie oder eine angeborene Gerinnungsstörung wie eine Faktor-V-Leiden-Mutation. Dann empfehle ich, von Beginn der Schwangerschaft an Kompressionsstrümpfe zu tragen.
Ganz wichtig: Bei einigen Konstellationen sind medizinische Kompressionsstrümpfe ein bedeutender Teil der Thromboseprophylaxe, jedoch allein nicht ausreichend, zum Beispiel bei Schwangeren, bei denen mehrere Risikofaktoren zusammenkommen, wie eine Thrombose unbekannten Ursprungs in der Anamnese und eine Faktor-V-Leiden-Mutation oder Varizen oder Adipositas. Dann muss zusätzlich niedermolekulares Heparin gespritzt werden. Die Gabe von Acetylsalicylsäure beispielsweise ist zur Thromboseprophylaxe nicht ausreichend! Es bedarf also immer eines risikoadaptierten Vorgehens. Von Vorteil ist es da übrigens, wenn man gut mit Kollegen aus anderen Disziplinen, etwa Phlebologen, Internisten, Rheumatologen etc., vernetzt ist und sich über eventuelle Risiken austauschen kann.

Worauf achten Sie bei einem Rezept für Kompressionsstrümpfe?

Prof. Schleußner: In der Schwangerschaft und im Wochenbett verordne ich ganz klar Oberschenkelstrümpfe mit geschlossener Fußspitze in Kompressionsklasse 2 oder auch eine entsprechende Kompressionsstrumpfhose. Bei der Erstverordnung können gleich zwei Paar verschrieben werden, was ich für sehr sinnvoll erachte. Die Frauen sollen die Strümpfe ja auch täglich tragen – und das bitte auch bis zu acht Wochen nach der Entbindung. Das Verordnen von Kompressionsstrümpfen belastet im Übrigen nicht das eigene Budget.

Bild: Frank Steinhorst

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