Kurz & knapp Die überarbeitete S2k-Leitlinie zum Ulcus cruris venosum bietet klare Empfehlungen zur Diagnose und Behandlung, betont die zentrale Rolle der Kompressionstherapie und fordert eine stärkere Einbindung der Patienten. Besonders wichtig ist die Differenzierung zwischen verschiedenen Ulzera-Typen zur Vermeidung von Fehlbehandlungen. Durch interdisziplinäre Zusammenarbeit und den gezielten Einsatz moderner Kompressionssysteme soll die Lebensqualität der Patienten deutlich verbessert und eine nachhaltige Wundversorgung erreicht werden. Eine praktische Einordnung übernimmt Dr. Karsten Haas, Wund- und Schmerztherapeut sowie Lymphologe mit einem speziellen Fokus auf chronische Wunden, und berichtet von den täglichen Erfahrungen mit Betroffenen aus seinem Wundzentrum.
Ulcus Cruris Venosum·Kompressionsstrümpfe
„Ohne Druck heilt keine Wunde“
Neue S2k-Leitlinie zum Ulcus cruris venosum
Von Bauerfeind Life am 11.04.2025

Warum Druck essenziell für das Heilen von chronischen Wunden ist, erklärt Dr. Karsten Haas (Dr. of human biology / USA) vom Wundzentrum in Kloster Lehnin. Entsprechend der überarbeiteten Leitlinie für Diagnostik und Therapie des Ulcus cruris venosum klärt er fortlaufend zu diesem Thema auf, schärft den Blick für die richtige Diagnose und wird nicht müde, auf die Möglichkeiten der budgetneutralen Verordnung von medizinischen Kompressionsstrümpfen hinzuweisen. So auch bei seinem Vortrag vor Fachpublikum im September 2024 im Bio-Seehotel in Zeulenroda.
Das Ulcus cruris venosum (UCV) gehört zu den häufigsten chronischen Wunden und erfordert durch seine Komplexität ein systematisches und abgestimmtes Behandlungskonzept. Die seit Januar 2024 aktualisierte S2k-Leitlinie Diagnostik und Therapie des Ulcus cruris venosum bietet eine wertvolle Grundlage für die interdisziplinäre Therapie. „Die Leitlinie ist kein starres Gerüst, sondern ein roter Faden, der medizinischem Fachpersonal Orientierung bietet“, sagt Dr. Karsten Haas, Wund- und Schmerztherapeut sowie Lymphologe mit einem speziellen Fokus auf chronische Wunden. Dieser rote Faden unterstützt die Entscheider, insbesondere in der phlebologischen und pflegerischen Versorgung, das Ulcus cruris venosum nach aktuellem wissenschaftlichen Standard zu behandeln.

Auch jüngere Menschen von chronischen Wunden betroffen
Eine Vielzahl der Patienten, die zu Dr. Haas in das Wundzentrum kommen, seien jünger als erwartet, überwiegend sogar Frauen: „Ich habe ganz viele Patientinnen, die um die 40 sind, ein Kind bekommen, danach die Pille genommen haben und rauchen. Speziell mit der Kombination Pille und Rauchen steigt die Gefahr von Thrombose, Schlaganfall, Herzinfarkt. Dann kommt es manchmal zum postthrombotischen Syndrom und später auch zum Ulkus“, berichtet Dr. Haas. Zu einem generellen Anstieg an Patienten mit chronischen Wunden habe außerdem die demografische Entwicklung und der Mangel an medizinischer Versorgung, besonders in ländlichen Regionen, geführt. Bei dem Verordnen von Kompression gäbe es Unsicherheiten. Zu Beginn stehe jedoch die richtige Diagnose. Das Schärfen der Diagnostik war letztlich auch ein Hauptziel der neuen Leitlinie.
Wann ist eine Differentialdiagnose nötig?
Nicht jedes Unterschenkelgeschwür ist venöser Natur. Die Leitlinie befasst sich deshalb mit der Differenzierung der verschiedenen Ulkus-Typen. „Ein Ulcus cruris venosum ohne Krampfadern? Das gibt es nicht! Fehlen Krampfadern und es gibt dennoch ein Ulkus, muss es sich um eine andere Ursache handeln“, bekräftigt Dr. Haas. Die klinische Charakteristik für ein typisches Ulcus cruris venosum ist die Prädilektionsstelle an der Innenseite des Fußknöchels, gegebenenfalls manschettenartig um den kompletten Knöchel, mit einem unscharf begrenztem Randsaum. Auffällig sind häufig auch die Haut- und Unterhautzeichen der chronisch-venösen Insuffizienz (CVI), wie z.B. Purpura jaune d’ocre, Stauungsdermatitis oder Atrophie blanche. Schmerzen können variieren, von kaum bis moderat zu stark ausgeprägt. Typischerweise verläuft die Wundvergrößerung langsam und schreitet allmählich fort.
„Ein Ulcus cruris venosum ohne Krampfadern? Das gibt es nicht!“
Dr. Karsten Haas
„Die Differenzierung ist wichtig. Wir müssen das venöse Ulkus von dem arteriellen oder dem gemischten Ulkus unterscheiden können. Ein kreisrundes Ulkus ist das markante Zeichen für ein arterielles Ulcus cruris“, erklärt Dr. Haas. Die Differentialdiagnose bleibt ein wichtiger Schritt, um den idealen Therapieansatz zu wählen und Fehlbehandlungen zu vermeiden.

Einfluss des Hämosiderin-Phänomens auf die Pathophysiologie
Die venöse Druckbelastung spielt eine zentrale Rolle bei der Pathophysiologie des Ulcus cruris venosum. Im Rahmen der chronisch-venösen Insuffizienz (CVI) führt der erhöhte venöse Druck zu Blutstauungen in den unteren Extremitäten und begünstigt die Extravasation von Erythrozyten in das umliegende Gewebe. „Infolge des Erythrozytenabbaus entsteht Hämosiderin, ein eisenhaltiger Proteinkomplex, der sich in der Dermis ablagert und die charakteristischen bräunlichen Hautverfärbungen, auch Rostkrankheit genannt, hervorruft“, erklärt Dr. Haas. Diese Hämosiderin-Deposition steht in engem Zusammenhang mit entzündlichen Reaktionen, oxidativem Stress und einer gestörten Mikrozirkulation im Gewebe, die die Geweberegeneration und Wundheilung negativ beeinflussen. Ein wichtiges therapeutisches Ziel ist es, den venösen Rückfluss zu verbessern und die venöse Druckbelastung zu reduzieren, um Hämosiderin-Ablagerungen sowie die entzündliche Schädigung des Gewebes zu minimieren und die Wundheilung zu fördern.
Die drei Phasen der Wundheilung
Die Wundheilung unterteilt sich in die Exsudationsphase (oder auch Inflammations-, also Entzündungsphase), die Granulationsphase (oder auch Proliferationsphase) und die Regenerationsphase. „Während der Entzündung haben wir die klassischen Zeichen: Rötung, Schwellung, Schmerz, Überwärmung und Funktionseinschränkung,“ erläutert Dr. Haas und ergänzt: „Eine Entzündung ist keine Infektion. Beides muss man dringend voneinander trennen. Viele sagen, sie dürfen bei einer Entzündung keine Kompression tragen. Das ist Quatsch. Immer den Patienten anschauen und überlegen, was ihm hilft.“ Außerdem sei chirurgisches Debridement durch qualifiziertes Fachpersonal häufig entscheidend, um den Heilungsprozess in Gang zu setzen. Wenn diese Phase abgeklungen ist, meist nach vier bis sechs Tagen, geht die Wunde meist automatisch in die Proliferation. „Jetzt möchte die Wunde Gewebeumbau machen, Granulation. Mit dem Druck, den man jetzt mit Kompression aufbaut, regt man auch die Granulation an“, weiß Dr. Haas.
„Viele sagen, sie dürfen bei einer Entzündung keine Kompression tragen. Das ist Quatsch. Immer den Patienten anschauen und überlegen, was ihm hilft.“
Dr. Karsten Haas
Die anschließende Regenerationsphase könne bis zu zwei Jahre andauern und müsse durch eine bedarfsgerechte Kompression unterstützt werden. Wichtig für die Therapie ist, dass die Patienten nahrungsergänzend die Vitamine A, C und E sowie Zink zuführen, weil über den Wundfluss viele Nährstoffe verloren gehen.

„Kompression ist Mittel der Wahl“
Die neuen Leitlinienempfehlungen bieten klare Handlungsvorgaben für die Behandlung des Ulcus cruris venosum und integrieren dabei langjährige wissenschaftliche Erkenntnisse zur Kompression. „Kompression ist Mittel der Wahl,“ betont auch Dr. Haas und unterstreicht die Validität der Therapie durch wissenschaftliche Studien der letzten Jahrzehnte. Die Leitlinie empfiehlt medizinische Kompression als Standardtherapie, solange Kontraindikationen ausgeschlossen sind. Ziel ist es, den Heilungsprozess zu beschleunigen und das Risiko einer erneuten Ulkusbildung zu minimieren. „Ohne Druck heilt keine Wunde. Schon beim Bluten drücken wir automatisch auf die Wunde. Der gleiche Grundsatz gilt bei chronischen Wunden“, berichtet Dr. Haas. Die Leitlinie gibt mehrere wesentliche Empfehlungen, die von der Wahl der Kompressionsmaterialien bis hin zur Nutzung mehrteiliger Versorgungssysteme reichen: „Älteren Patienten fällt es leichter, Oberschenkelstrümpfe und eine Caprihose anzuziehen, als eine Strumpfhose. Sie bekommen auch nicht einen Reißverschluss oder die kleinen Haken und Ösen geschlossen. Das bekommen sie nicht hin. Mehrteilige Versorgungen kann man verordnen. Es ist wichtig, dass sie auf dem Rezept begründet werden“, führt Dr. Haas an. Akzeptierte Gründe für mehrteilige Versorgungen sind zum Beispiel unterschiedliche anatomische Anforderungen, wenn die Beine des Patienten deutlich unterschiedliche Maße oder Formen aufweisen, sodass eine einteilige Versorgung keine optimale Passform gewährleisten kann. Sie können bei motorischen Einschränkungen oder geringer Handkraft sinnvoll sein, da sie das Handling für den Patienten erleichtern und so die Therapietreue fördern. Außerdem kann die Teilung in mehrere Segmente bei einem Bedarf nach sehr hoher Kompression (z. B. in Kompressionsklasse III oder IV) erforderlich sein, um das An- und Ausziehen zu erleichtern. Die Leitlinie empfiehlt eine regelmäßige Kontrolle und gegebenenfalls den Wechsel der Versorgung, wenn z.B. ein Ödem und damit der Beinumfang zurückgehen. Die Leitlinie empfiehlt zudem, bei einem entstauten Bein den Wechsel von mehrlagigen phlebologischen Kompressionsverbänden auf zweilagige Ulkus-Kompressionsstrumpfsysteme vorzunehmen. Diese Systeme bieten den Vorteil einer leichteren Handhabung und ermöglichen es Patientinnen und Patienten, die Therapie selbstständig fortzusetzen. „Druck hat Graduierungen. In der entstauten Phase ist es nicht notwendig, einen dicken Verband anzulegen. Der Druck, den zweilagige Kompressionsstrumpfsysteme, wie zum Beispiel der VenoTrain ulcertec, bieten, ist ausreichend“, so Dr. Haas.
„Ein wichtiger Hinweis ist, dass Kompressionsstrümpfe budgetneutral sind.“
Dr. Karsten Haas
Der therapeutische Druck wirkt gezielt auf das Gebiet der Wunde, um den venösen Rückfluss zu unterstützen und gleichzeitig die Geweberegeneration zu fördern, indem er einen Ausgleich zum atmosphärischen und kolloidosmotischen Druck herstellt. Wissenschaftliche Studien belegen, dass der kontrollierte und anpassbare Druck solcher Systeme zu einer besseren Wundheilung führen kann, da eine kontinuierliche Kompression gewährleistet wird. Ein weiterer Vorteil sei der gesteigerte Patientenkomfort durch die dünnere und flexiblere Struktur des Strumpfsystems, was die Therapieadhärenz fördert. „Ein wichtiger Hinweis ist, dass Kompressionsstrümpfe budgetneutral sind“, betont Dr. Haas. Die Leitlinie hebt diesen Aspekt ebenfalls hervor. Das erleichtert die Verordnung und stellt sicher, dass den Patienten eine effektive Behandlung zur Verfügung steht.

Patienten besser aufklären
„Die Menschen müssen verstehen, dass das Ulkus eine chronische Erkrankung ist, und nur, weil die Wunde geschlossen ist, bedeutet das nicht, dass sie geheilt sind“, führt Dr. Haas die Notwendigkeit an, Patienten aktiv in den Heilungsprozess einzubeziehen und zu informieren. Präventive Maßnahmen gewinnen an Bedeutung, insbesondere im Bereich der Patientenschulung und der Zusammenarbeit mit der Pflege. Eine verbesserte Informationspolitik durch das Gesundheitswesen wäre laut Dr. Haas wünschenswert, um die Bevölkerung für Risikofaktoren und Präventionsmöglichkeiten zu sensibilisieren.
Pflegekräfte spielen eine zentrale Rolle
Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Ärzten, Pflegefachpersonen und Therapeuten wird als Schlüsselfaktor angesehen, um die Versorgung der Patienten langfristig zu verbessern. Pflegekräfte spielen hierbei eine zentrale Rolle und sind als Adressaten der Leitlinie explizit berücksichtigt. Das Fachpersonal sollte in der Lage sein, sowohl die typischen Zeichen der CVI, wie die Corona phlebectatica oder die Pigmentveränderungen, zu erkennen als auch mögliche Kontraindikationen bei der Kompressionstherapie zu beurteilen. Durch frühes Erkennen und den zielgerichteten Einsatz dieser Versorgungsformen lässt sich der Leidensdruck vieler Patienten entscheidend lindern. Die überarbeitete Leitlinie unterstützt damit den Weg zu einer besseren Versorgungsqualität und einer langfristig erfolgreichen Wundtherapie.
Kompressionsstrumpf-System zur Wund- und Venenbehandlung
Das Zweikomponentensystem VenoTrain ulcertec bietet eine Doppelstrategie aus Wund- und Venenbehandlung insbesondere beim Abheilen eines Ulcus crurius venosum. Der Unterstrumpf ist zur Nachtkompression geeignet und fixiert mit seiner leichten Dauerkompression Wundauflagen, ohne zu verrutschen. So fördert er die Heilung rund um die Uhr. Es gibt ihn als knie- sowie schenkellanges Modell. Der Oberstrumpf wird über dem Unterstrumpf getragen, was in Kombination mit dem einmaligen Rhomboid-Gestrick das An- und Ausziehen erleichtert. Er verfügt über die klassischen Eigenschaften zur Venenunterstützung, hohen Tragekomfort und fördert die Durchblutung. Mehr Informationen.

Bilder: Annika Büssemeier, Dr. Karsten Haas, Bauerfeind AG
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