Kompressionsstrümpfe·Lymph- und Lipödem

„Die Patienten müssen in die Lage versetzt werden, sich selbst zu helfen“

Lymph- & Lip-Lymphödeme – die DGL-Präsidentin

Von Bauerfeind Life Magazin

Kurz & knapp Dr. med. Anya Miller hat die Leitlinie „Diagnostik und Therapie der Lymphödeme“ mitentwickelt.

  • Bei der Komplexen Physikalischen Entstauungstherapie (KPE) müssen alle Beteiligten zusammenarbeiten.
  • Zentraler Punkt ist die Anleitung des Patienten zum Selbstmanagement.
  • Jeder Arzt sollte mit dem Bild des Lymphödems und den aktuellen Verordnungsrichtlinien vertraut sein.

Dermatologin und Phlebologin Dr. med. Anya Miller engagiert sich nicht nur in ihrer Berliner Praxis für ihre Patienten. Die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Lymphologie (DGL) hat maßgeblich zahlreiche AWMF1-Leitlinien mitentwickelt , so auch die S2k-Leitlinie2 „Diagnostik und Therapie der Lymphödeme“. Ob in Theorie oder Praxis, für sie steht die Lebens­qualität der Betroffenen im Fokus.

Bauerfeind life: Sie haben mit Ihren Kollegen die Leitlinie von 2017 im Sommer dieses Jahres aktualisiert. Was sind die wichtigsten Neuerungen?

Dr. Miller: Wir haben vor allem die Komplexe Physikalische Entstauungstherapie (KPE) ganz grundlegend erweitert , indem wir den Patienten noch viel mehr ins Zentrum gerückt haben. Die Anleitung zum Selbstmanagement ist für mich ein zentraler Punkt in der gesamten Therapie. Ein Ödem bedeutet immer eingeschränkte Lebensqualität. Wir Ärzte, aber auch die Physiotherapeuten und Sanitätshausmitarbeiter sind aufgefordert , die Patienten zu schulen und das eigene Wissen weiterzugeben, damit die Patienten viel mehr als früher in der Lage sind, sich selbst zu helfen.

Manuelle Lymphdrainage, Kompressionstherapie, Bewegung, Hautpflege sowie Selbstmanagement: Wie wichtig ist es, dass die fünf Säulen der KPE ineinandersgreifen?

Dr. Miller: Untersuchungen haben gezeigt , dass die KPE nur dann wirklich erfolgreich ist , wenn wir alle Säulen gemeinsam anwenden. Sprich: Wenn Ödempatienten einfach nur Lymphdrainage bekommen und dann ohne jegliche Kompression aus der Praxis herausmarschieren, kann man sich das in den allermeisten Fällen auch sparen. Kompression ist die wichtigste Basistherapie bei der Behandlung von Ödemen. Und natürlich müssen die Patienten auch lernen, dass sie sich bewegen sollten. Hautpflege hat einen ganz wichtigen Stellenwert und nicht zuletzt das Selbstmanagement. Denn die meiste Zeit haben die Patienten ja weder einen Arzt noch einen Therapeuten bei sich. Warum sollten sie also nicht lernen, Atemtechniken oder bestimmte Griffe zur Anregung des Lymphabflusses selbst anzuwenden? Durch das Selbstmanagement geben wir den Patienten auch Freiheiten zurück – indem sie lernen, sich selbst zu helfen. Dann sind sie langfristig auch kooperativer, Spätfolgen werden reduziert und letztendlich steigt die Lebensqualität.

Sie sagten, Kompression sei die entscheidende Basistherapie. Was ist Ihnen dabei besonders wichtig?

Dr. Miller: Die Kompressionstherapie muss ganz individuell angepasst werden. Bei der Versorgung ist eine gute Zusammenarbeit zwischen Arzt , Physiotherapeut und Sanitätshaus gefragt. Der Physiotherapeut , der seine Hände am häufigsten am Patienten hat , kann beispielsweise oft noch besser als der Arzt fühlen, wie die Ausbreitung des Ödems ist und wie tief es ist. Dieses Wissen sollte er idealerweise auch an den Sanitätshausmitarbeiter weitergeben, der vermisst. Darüber hinaus gilt es, bei der Versorgung den Alltag des Patienten mit einzubeziehen. Wo bestehen Einschränkungen oder Empfindlichkeiten? Ist bei der älteren Dame, die im Zweifelsfall ganz schnell zur Toilette muss, wirklich eine Strumpfhose nötig? Und ist mitunter ein Unterschenkelstrumpf, der getragen wird, zielführender als der Schenkelstrumpf im Schrank? Da ist Feingefühl des Verordners und des Versorgers gefragt.

Bekommen Sie Rückmeldung von den Therapeuten zu den Patienten?

Dr. Miller: Die fordere ich ein! Jeder Patient , den ich zur Lymphdrainage schicke, soll mit einem Bericht zurückkommen. Denn Informationen wie „Patient kommt nicht damit zurecht , die Strümpfe anzuziehen“ oder „Strumpf wird nicht getragen“ sind ganz wichtig für mich. Ich kann dann überlegen, ob ich einen Pflegedienst hinschicke oder ob noch mal ein weiteres Aufklärungsgespräch nötig ist.

Wo sehen Sie Ansatzpunkte, um die Lymph­therapie im Alltag noch zu optimieren?

Dr. Miller: Das fängt bei uns Ärzten an: Jeder Hausarzt sollte vertraut sein mit dem Bild des Lymphödems, mit der Verordnungsweise von Lymphdrainagen, mit den aktuellen Verordnungsrichtlinien. Ich höre immer wieder: „Das darf ich nicht , mein Budget ist voll.“ Mitnichten – ab Stadium II und bei hereditärem Lymphödem können wir innerhalb des langfristigen Heilmittelbedarfs budgetneu­tral und damit regressfrei verordnen.
Was die Physiotherapeuten angeht , sollten prinzipiell nur diejenigen die intensive Behandlung ausführen, die dafür richtig qualifiziert sind und die sich regelmäßig fortbilden. Und die Physiotherapeuten sollten schauen, ob die Strümpfe passen und getragen werden – sie sind die längste Zeit am Patienten. Von den versorgenden Sanitätshäusern würde ich mir wünschen, dass 14 Tage nach jeder Strumpfabgabe ein Kontrolltermin vereinbart wird, um zu sehen, ob der Strumpf passt. Entscheidend sind wirklich Aufklärung und Nachfragen. Das gilt für sämtliche am Behandlungsprozess beteiligten Personen. Diese Punkte sind zunächst einmal recht aufwendig, zahlen sich aber langfristig für alle aus – am meisten für die Patienten.

Weitere Informationen:

Die aktuelle Leitlinie zu Lymphödemen finden Sie unter dglymph.de

1 Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. ist der deutsche Dachverband von 184 Fachgesellschaften der Medizin.
2 S2k-Leitlinie: Leitlinie, bei der eine formale Konsensfindung stattgefunden hat.

Bilder: Thomas Lebie

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