Kompressionsstrümpfe·Lymph- und Lipödem·Venenbeschwerden

„Die informierte Patientin weiß, dass ein Lipödem wehtut“

Das Lipödem – in Abgrenzung zum Lymphödem und zu Adipositas

Von Bauerfeind Life Magazin

Kurz & knapp Interview mit Dr. med. Gabriele Faerber vom Zentrum für Gefäßmedizin in Hamburg zur Diagnose und Therapie von Lip- und Lymphödemerkrankungen.

  • Ein Lipödem tritt immer symmetrisch auf, ein asymmetrisches Auftreten spricht für ein Lymphödem.
  • Im Gegensatz zum Lipödem manifestieren sich bei der Lipohypertrophie kein Druckschmerz und keine Schwellneigung.
  • Bei begleitendem Übergewicht oder Adipositas sollte eine leitliniengerechte Therapie immer die Ernährungstherapie, Verhaltenstherapie und Bewegung umfassen.

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Dass man bei der Anamnese unauffällig agieren sollte, um zu sehen, ob ein Kneifen wirklich einen Schmerz auslöst , weiß Dr. med. Gabriele Faerber vom Zentrum für Gefäßmedizin in Hamburg aus eigener Erfahrung. Im Interview mit Bauerfeind life erzählt sie, worauf außerdem bei der Diagnose und Therapie von Lip- und Lymphödemerkrankungen zu achten ist.

Dr. med. Gabriele Faerber, Zentrum für Gefäßmedizin, Hamburg.
Dr. med. Gabriele Faerber, Zentrum für Gefäßmedizin, Hamburg.

Bauerfeind life: Beim sogenannten „dicken Bein“ ist eine Differenzialdiagnose angebracht. Wie gehen Sie dabei vor?
Dr. Faerber: In der Regel führt die klinische Diagnose zum Ziel , apparative Zusatzuntersuchungen sind nur selten nötig. Nach einer sehr umfassenden Anamnese, die unter anderem Auftrittszeitpunkt , Gewichts- und Familienanamnese und subjektive Beschwerden einschließt , schauen wir uns die Patienten genau an. Sind beide Beine dick?
Ein Lipödem tritt immer symmetrisch auf, ein asymmetrisches Auftreten spricht für ein Lymphödem. Wenn beidseitig, ist das Auftreten wirklich symmetrisch oder ist ein Bein führend? Letzteres könnte wiederum auf ein Lymphödem hindeuten. Nach Befundbeschreibung und vergleichenden Umfangsmessungen tasten wir ab. Ist die Haut weich oder schon fibrosiert? Wie steht es um das Stemmersche Zeichen? Beim Lipödem lässt sich über dem zweiten Zehenrücken eine Hautfalte abheben, beim Lymphödem sind Haut und Unterhaut so verbacken, dass sich keine Hautfalte mehr abheben lässt. Dagegen muss bei einem Adipositas-Lymphödem das Stemmersche Zeichen nicht unbedingt vorhanden sein. Für ein Lymphödem sprechen Falten am Zehengrundgelenk, die den Eindruck von Kastenzehen erwecken, und eine vermehrte Verhornung. Bei einem Lipödem hört die vermehrte Fetteinlagerung oberhalb der Hand- oder Fußgelenke auf. Am Fuß nennt man das „Suavenphänomen“ oder „supramalleo­lärer Kalibersprung.“ Im Gegensatz zum Lipödem manifestieren sich bei der Lipohypertrophie kein Druckschmerz und keine Schwellneigung. Dabei erschwert Dr. Google die Diagnosestellung: Die informierte Patientin weiß heute genau, dass ein Lipödem wehtut. Wir müssen also möglichst unauffällig versuchen, herauszufinden, ob beispielsweise ein Kneifen wirklich einen Schmerz auslöst oder nicht.

„Ein Lipödem tritt immer symmetrisch auf, ein asym­me­trisches Auftreten spricht für ein Lymphödem.“
Dr. med. Gabriele Faerber

Lipödem, Normalgewicht.
Lipödem, Normalgewicht.

Was ist zu beachten, wenn sich die Befunde vermischen?
Dr. Faerber: Insbesondere die Mischformen und die fließenden Übergänge sind für die Abgrenzung problematisch. So kann beispielsweise eine Lipohypertrophie in ein Lipödem übergehen. Das passiert häufig im Zuge einer Gewichtszunahme oder einer Hormonveränderung bzw. in Phasen einer Östradioldominanz. Diese hormonelle Dysbalance kann entweder dazu führen, dass sich ein Lipödem deutlich verschlimmert , sowohl vom Volumen her als auch von den Beschwerden, oder dass es überhaupt erst auftritt. Bei entsprechender ernährungsmedizinischer Behandlung ist aber auch eine gegenläufige Entwicklung möglich: Über 80 Prozent unserer Patientinnen gehen durch eine Ernährungsumstellung und/oder Gewichtsreduktion aus dem Lipödem wieder in eine Lipohypertrophie. Sie haben dann keine Schwellneigung mehr, spüren deutlich weniger bis gar keine Schmerzen und brauchen oft auch keine Lymphdrainage mehr. Eine weitere diagnostische Herausforderung ist zudem die Adipositas, die beispielsweise auch eine Disproportion verschleiert.

Lipödem, Adipositas.
Lipödem, Adipositas.

Wie behandeln Sie die einzelnen Krankheitsbilder?
Dr. Faerber: Bei einer schlanken Lipödempatientin beginnen wir mit einer Kompressionstherapie. Das muss nicht zwingend eine Flachstrickversorgung sein. Ist die Beinform weitgehend normal , tut es oft auch eine rundgestrickte Versorgung mit entsprechender Stiffness. Mittlerweile versuchen wir, nicht sofort mit einer begleitenden Lymphdrainage anzufangen, die bei einem reinen Lipödem auch durchaus hinterfragt werden darf. Bringt die Kompression allein keine ausreichende Erleichterung, dann folgt eine kürzere Phase mit Lymphdrainage – jedoch als einleitende und nicht als Dauerbehandlung. Und generell empfehlen wir eine Ernährung mit viel basischer Kost und wenig schnell verdaulichen Kohlenhydraten sowie viel Bewegung. Bessern sich die Beschwerden nicht , sind diese Frauen für mich die geeigneten Kandidatinnen für eine Liposuktion. Umso mehr, je ausgeprägter die Disproportion ist.

„Bei übergewichtigen Frauen haben wir oft das große Problem von Mischformen, etwa ein Lipödem mit Adipositas und einem sekundären Lymphödem aufgrund der Adipositas.“Dr. med. Gabriele Faerber

Sekundäres Lymphödem, Stadium 2.
Sekundäres Lymphödem, Stadium 2.

Auch bei übergewichtigen Patientinnen setzen wir zunächst auf Kompression. Wenn die Adipositas oder die Beinformveränderung fortgeschritten ist , kommt häufig nur ein Flachstrickprodukt infrage, gegebenenfalls – wie auch in solchen Fällen beim Lymphödem – mit einer geteilten Versorgung. Eine sehr adipöse Frau schafft es kaum, eine Strumpfhose anzuziehen. Deswegen verordnen wir dann zum Beispiel Caprihosen mit Kniestrümpfen. Übrigens ist es häufig eher die Form, die eine Rundstrickbestrumpfung unmöglich macht , als die Schwellneigung.
Bei übergewichtigen Frauen haben wir oft das große Problem von Mischformen, etwa ein Lipödem mit Adipositas und einem sekundären Lymphödem aufgrund der Adipositas. Das müssen wir den Frauen dann auch so vermitteln. Das reine Lipödem wird die Patientin durch eine Ernährungsveränderung nicht wegbekommen, diese Veranlagung bleibt. Aber das Lymphödem, das dazukommt , lässt sich gut beeinflussen, wenn man die Adipositas reduziert. Bei einem Lymphödem ist natürlich auch eine Lymphdrainage angezeigt. Es macht jedoch keinen Sinn, immer nur Lymphdrainage zu verordnen, wenn die eigentliche Ursache die Adipositas ist.

Was empfiehlt die Leitlinie darüber hinaus für die Therapie des Lipödems?
Dr. Faerber: Bei begleitendem Übergewicht oder Adipositas sollte eine leitliniengerechte Therapie immer die Ernährungstherapie, Verhaltenstherapie und Bewegung umfassen. Als idealer Sport hat sich das Aquacycling erwiesen. Ich will jetzt nicht den Eindruck erwecken, gegen den sich viele Lipödem­patientinnen – übrigens zu Recht – wehren, dass man das Problem allein mit einer Ernährungsumstellung und Sport lösen kann. Es ist aber wichtig, dass man beides konsequent durchführt , um eine Progredienz aufzuhalten.

Typische klinische Merkmale zur Abgrenzung

Aktualisierte CME-Schulung

Nach der vollständigen Entstauung des Gewebes bei einem Lip- und Lymphödem sind in der nachfolgenden Erhaltungsphase maßgefertigte Kompressionsstrümpfe die zentrale Säule der fortwährenden Therapie. Zu den einzelnen Therapiebausteinen und verschiedenen Ödemarten informiert die CME-Fortbildung zum Lymphödem von Bauerfeind. Sie wurde entsprechend der überarbeiteten S2k-Leitlinie aktua­lisiert und rezertifiziert. Mehr Informationen:

www.bauerfeind.de/cme

Bilder: Andreas Wetzel , Dr. Gabriele Faerber, Bauerfeind

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