Kompressionsstrümpfe·Lymph- und Lipödem

„Entscheidend ist die Stimulation des Lymphabflusses“

Lymphspezialist Professor Peter Mortimer

Von Bauerfeind Life Magazin

Kurz & knapp Bauerfeind life sprach mit Ratschow-Medaillenpreisträger Prof. Peter Mortimer über genetische Grundlagen von Lymphödeme sowie über die Lymphödemtherapie.

  • Der entscheidende Faktor ist die Stimulation des Lymphabflusses mit physikalischen Mitteln.
  • Sportliche Betätigung ist unerlässlich, am besten begleitet durch Kompression.
  • Die Kompressionsbekleidung muss gut angepasst werden und dem Patienten einen hohen Tragekomfort bieten.

Für sein Engagement auf dem Gebiet der Lymphologie wurde Prof. Peter Mortimer im vergangenen Herbst mit der Ratschow-Gedächtnismedaille geehrt. Bauerfeind life sprach mit dem Briten, der als Dermatologe an der St. George’s University von London arbeitet , über die Ursache von Lymphödemen und deren Therapie.

Sie leisten Pionierarbeit bei der Erforschung des Lymphsystems und vererbbarer Lymphödeme. Was fasziniert Sie daran?

Prof. Mortimer: Ich interessiere mich für das Lymphsystem seit ich Anfang der 80er Jahre festgestellt habe, dass dieser Bereich der Medizin stark vernachlässigt wird. Angefangen habe ich mit der Untersuchung von Lymphödemen im Zusammenhang mit Brustkrebs. Als jedoch die ersten Gene entdeckt wurden, die die Entwicklung des lymphatischen Systems steuern, wechselte mein Interesse zu primären – genetisch bedingten – Lymphödemen. In meine Praxis kommen Kinder und junge Erwachsene aus ganz Großbritannien, die an Lymphödemen leiden. Durch die Untersuchung der DNA von Familien mit ähnlichen Lymphödemen konnten ursächlich verantwortliche Gene ermittelt werden. Wir können nun bei 20 Prozent der Patienten mit primärem Lymphödem eine genetische Ursache feststellen. Die Ermittlung von Genen ist so wichtig, weil wir dadurch den Mechanismus von Lymphödemen besser verstehen können. Anhand dieser Informationen haben wir eine viel bessere Chance, zielgerichtete Therapien zu entwickeln.

„Da das Lymphsystem für die Förderung des Lymphabflusses Bewegung benötigt und da hierfür keine medikamentöse Therapie zur Verfügung steht , ist Sport unausweichlich und der erste Ansatzpunkt jeder Behandlung.“
Prof. Peter Mortimer

Was würden Sie auf dem Gebiet gern noch erforschen?

Prof. Mortimer: Eine der größten Herausforderungen bei der Behandlung von Lymphödemen sind die damit einhergehenden Infektionen, insbesondere die Wundrose, Erysipel. Nicht selten tritt die Wundrose immer wieder auf, so dass die Patienten häufig zum Hausarzt müssen. In manchen Fällen kann die Infektion so heftig sein, dass es zu einer Sepsis und zu Organversagen kommt. Da das Lymphsystem unser Immunsystem beherbergt , handelt es sich wahrscheinlich um ein Versagen der lokalen Immunantwort innerhalb der Lymphödemschwellung, die zu diesem Problem führt , so dass die Infektion nie vollständig abheilt. Diese Mechanismen würde ich gern besser verstehen.

Wie unterscheiden sich Lymphödeme am Oberkörper im Vergleich zu den Beinen?

Prof. Mortimer: Lymphödeme an den Beinen treten häufiger auf und zeigen einen oft schlimmeren Verlauf als an den Armen. Dafür wird oft die Schwerkraft verantwortlich gemacht. Das mag zwar stimmen, aber es kann auch andere Gründe geben, warum die Beine häufiger betroffen sind. Bei einer genetisch bedingten Form des kongenitalen Lymphödems, der sogenannten Milroy-Krankheit , führt eine Mutation des VEGFR3 zu Lymphödemen ausschließlich in den Hintergliedmaßen und nicht in den Vordergliedmaßen. Dies deutet darauf hin, dass genetische Faktoren die von Lymphödemen betroffenen Körperbereiche bestimmen. So kommt es bei primären Lymphödemen im Allgemeinen häufiger zu einer Schwellung in den Beinen als in den oberen Extremitäten. Schwellungen in den Armen wären relativ selten, wenn es keine durch Brustkrebs bedingten Lymphödeme gäbe.

Hat sich durch die minimalinvasiven OP-Techniken die Anzahl der Ödeme verringert?

Prof. Mortimer: Mit der Einführung der Sentinel-Lymphknotenbiopsie (SLNB) sollte die Inzidenz von Lymphödemen verringert werden, was prinzipiell auch erreicht wurde. Die Prävalenz von Armlymphödemen nach einer totalen axillären Dissektion im Rahmen einer Brustkrebsbehandlung liegt bei etwa 20 Prozent , während die Rate nach einer SLNB sechs Prozent beträgt. Die Notwendigkeit zusätzlicher adjuvanter Krebstherapien begleitend zur SLNB, wie Bestrahlung und Chemotherapien mit Taxanen, erhöht die Prävalenz jedoch.

„Kompressionsbekleidung muss gut angepasst werden und dem Patienten einen hohen Tragekomfort bieten.“
Prof. Peter Mortimer

Wie haben sich die Ödeme am Oberkörper im Lauf der Zeit verändert?

Prof. Mortimer: Bei der Behandlung von Brustkrebs war die Inzidenz von Armlymphödemen in Zeiten der traditionellen Mastektomien hoch. Dies galt jedoch nicht für Brust- oder Brustwandlymphödeme. Aufgrund der großzügigen lokalen Exzision von Brusttumoren, einschließlich der begleitenden Strahlentherapie, sind Lymphödeme der verbleibenden Brust mittlerweile genauso häufig, wenn nicht sogar häufiger, als Armlymphödeme.

Was ist für Sie essenziell bei der Therapie von Lymphödemen?

Prof. Mortimer: Der entscheidende Faktor bei der Behandlung ist die Stimulation des Lymphabflusses mit physikalischen Mitteln. Da das Lymphsystem für die Förderung des Lymphabflusses Bewegung benötigt und da hierfür keine medikamentöse Therapie zur Verfügung steht , ist Sport unausweichlich und der erste Ansatzpunkt jeder Behandlung. Wenn möglich, wird die sportliche Betätigung durch Kompression begleitet und verstärkt die Wirkung der Muskelkontraktionen auf die Lymphdrainage.
Es ist ebenfalls wichtig, herauszufinden, ob eine behandelbare Ursache vorliegt. So muss zum Beispiel bei manchen Lymphödemen zunächst die zugrundeliegende Entzündung behandelt werden, bevor mit der Standardtherapie begonnen werden kann.

Was gilt es bei der Kompressionstherapie Ihrer Meinung nach zu beachten?

Prof. Mortimer: Die Kompressionstherapie dient dazu, die Wirkung der Bewegung zu ergänzen. Die oszillierenden Veränderungen im Gewebedruck führen dazu, dass sich die Lymphgefäße füllen und wieder entleeren. Durch die Kompression werden diese Änderungen im Gewebedruck während der Bewegung verstärkt , wodurch der Lymphfluss gefördert wird. Eine effektive Kompressionstherapie muss dem zu behandelnden geschwollenen Gewebe in Größe und Form entsprechen. Kompressionsbekleidung muss der Schwellung Einhalt gebieten und darf nicht unnötig dehnbar sein. Das bedeutet , dass sie beim Tragen nicht nachgeben darf. Die Kompression darf den Lymphabfluss nicht behindern. Deshalb muss die Kompressionsbekleidung gut angepasst werden und dem Patienten einen hohen Tragekomfort bieten.

Weitere Informationen

zur Ratschow-Gedächtnismedaille unter:
www.bauerfeind.com/ratschow 

Bilder: Bauerfeind

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