Ulcus Cruris Venosum·Venenbeschwerden·Kompressionsstrümpfe

Im Zweifel für die Kompression

Venenbeschwerden

Von Bauerfeind Life am 05.03.2025

Kurz & knapp Die Kompression als leitliniengerechte Therapieoption stand im Mittelpunkt eines Symposiums im Programm der DGPL-Jahrestagung in Freiburg. Dabei führten die Referenten aus, warum Kompression bereits ab der klinischen Verdachtsdiagnose eingesetzt und wie sie in den verschiedenen Phasen durchgeführt werden sollte; worauf bei der individuellen Wundversorgung zu achten ist und welche Tipps für die Praxis hilfreich sein können; warum Kompression bei Infektionen und entzündlichen Dermatosen erfolgsfördernd ist und wann Kompression auch bei Herzinsuffizienz und peripherer arterieller Verschlusskrankheit (PAVK) eingesetzt werden kann und wann sie tatsächlich kontraindiziert ist.

Wissenschaft trifft Praxis – unter diesem Motto stand die 66. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie und Lymphologie in Freiburg. Praktisch ausgerichtet war auch das Bauerfeind-Symposium mit dem Titel „Im Zweifel für die Kompression“. Es stellte die Neuerungen der S2k-Leitlinie Diagnostik und Therapie des Ulcus cruris venosum vor, machte die Leitlinienbedeutung in der Pflege klar und informierte über die Möglichkeiten der Kompressionstherapie bei entzündlichen Dermatosen sowie bei Kontraindikationen.

Prof. Dr. Markus Stücker, Geschäftsführender Direktor der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie der Ruhr-Universität Bochum, rät, bereits bei der Verdachtsdiagnose eines Ulcus cruris venosum auf Kompression zu setzen.

Den Auftakt machte Prof. Dr. Markus Stücker, Geschäftsführender Direktor der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie der Ruhr-Universität Bochum. Er betonte, dass gemäß der neuen Leitlinie für die Therapie des Ulcus cruris venosum mit der Kompressionstherapie sofort bei der klinischen Verdachtsdiagnosebegonnen werden sollte. Bei der Wahl der Kompression ist gemäß der Leitlinie zu unterscheiden zwischen der Entstauungsphase und der Erhaltungsphase. In der Entstauungsphase sind phlebologische Kompressionsverbände oder medizinisch adaptive Kompressionssysteme (MAK) anzuwenden. Nur im Bedarfsfall ist die intermittierende pneumatische Kompression als weiteres additives Verfahren zu wählen, zum Beispiel bei Patienten mit therapierefraktärem Ulcus cruris venosum oder bei therapieresistenten Ödemen, die mit den oben genannten Kompressionsmitteln allein nicht ausreichend zu behandeln sind.

Bei der praktischen Kompressionsversorgung ist gemäß der neuen Leitlinie darauf zu achten, dass die Verbände über 24 Stunden lang angelegt sein sollten. Von dieser Regel ausgenommen sind Patienten mit entsprechendem Selbstmanagement. Nach der Entstauungsphase sollte der Wechsel vom Verband auf spezielle zweilagige Ulkus-Kompressionsstrumpfsysteme erfolgen. Ist das Ulkus schmerzhaft, kann zusätzlich zur Kompressionstherapie anfangs eine Schmerztherapie erfolgen.  

Mit seinem einzigartigen Druckprofil unterstützt der Kompressionsstrumpf VenoTrain ulcertec den Heilungsprozess von Ulzerationen am Bein.

Bei Bedarf sollte der Patient rechtzeitig, d. h. innerhalb der ersten beiden Wochen, einer invasiven Varizentherapie zugeführt werden. Und generell sollte auch nach Abheilung dem Patienten das längere Tragen der Kompression empfohlen werden, wobei häufig ein unterschenkellanger Kompressionsstrumpf der Klasse 1 ausreicht. Nicht zuletzt darf die Hautpflege des Patienten unter der Kompression nicht vernachlässigt werden. Hierzu sollte auch der Hinweis erfolgen, dass entsprechende Pflegeprodukte nicht schädlich für Kompressionsbandage bzw. -strumpf sind.

Kerstin Protz, renommierte Expertin für die Pflege und Wundversorgung, erläuterte, wie die leitliniengerechte Wundversorgung schmerzarm und indikationsbezogen erfolgen sollte.

Leitlinienkonforme Pflege

Kerstin Protz, renommierte Expertin für die Pflege und Wundversorgung, betonte die Dringlichkeit für das Fachpersonal, sich mit den neuen Leitlinien vertraut zu machen und diese auch in der Praxis umzusetzen. In der Therapie sollte gemäß der neuen Leitlinie beim Anlegen von Kompressionsbandagierungen auf eine Unter- und eine Aufpolsterung geachtet werden. Die Wundversorgung soll gemäß der neuen Leitlinie schmerzarm und indikationsbezogen erfolgen. Dazu gehören die fachgerechte Reinigung sowie das Exsudat- und Infektmanagement. Für die mechanische Reinigung empfehlen sich sterile (Vlies-)Kompressen und für die Hautpflege bei trockener Haut lipophile Hautmittel mit Feuchthaltefaktoren, z. B. Urea. Ihr Tipp für Patienten mit hohen Exsudatmengen in der Entstauungsphasen und starken Schmerzen beim Verbandwechsel: silikonisierte Transferschaumverbände nutzen, die nicht am Wundgrund ankleben, das Exsudat vertikal ableiten und daher bis zu einer Woche am Körper verbleiben können. Der Sekundärverband, z. B. der Superabsorber, ist dann bei Erschöpfung entsprechend häufiger zu wechseln. In der Erhaltungsphase empfiehlt Kerstin Protz die Nutzung feinporiger Polyurethanschaumverbände, bei Bedarf mit Silikonbeschichtung. Um die Haut nicht weiter zu schädigen, sollte auf Verbandmittel mit Polyacrylatkleber verzichtet werden.

Dr. Jürg Traber, Chefarzt der Venenklinik Bellevue in Kreuzlingen (Schweiz), schätzt Kompression bei der Therapie infektiöser und nichtinfektiöser Entzündungen erfolgsfördernd ein.

Kompressionstherapie bei Infektionen und entzündlichen Dermatosen

Dr. Jürg Traber, Chefarzt der Venenklinik Bellevue in Kreuzlingen (Schweiz), machte klar, dass es bislang noch keine evidenzbasierten Studien dazu gibt, dass bei einem Infekt an der unteren Extremität durch das Anlegen einer Kompression der Infekt beispielsweise vom Unter- zum Oberschenkel verlagert wird. Zudem zeigte er, dass kompressionsinduzierte Erkrankungen lediglich selten bis sehr selten (1< 10.000)[1] auftreten. Somit gibt es keine Evidenz dafür, dass die Kompression grundsätzlich das Infektionsrisiko erhöht.

Dr. Jürg Traber erläuterte anhand einer weiteren Studie[2], dass die Kompressionstherapie bei entzündlichen Dermatosen zu keinerlei Verschlechterungen führte. Damit sieht er auch keine Kontraindikation für die Kompression bei infektiösen entzündlichen Dermatosen. Zudem verwies Dr. Jürg Traber auf eine Studie[3], die zeigen konnte, dass Probanden nach Weichteilinfektionen unter Kompression weitaus weniger Rezidive von Cellulitis entwickelten als die Probanden ohne Kompression. Auch die relevanten Cytokine waren nach der Kompression deutlich verringert.

Im Falle einer schweren lokalen Wund- und Gewebeinfektion kann also die Kompression individualisiert angewandt werden, und dieser Umstand findet sich auch in der neuen Leitlinie mit der Indikation bei entzündlichen Dermatosen der Beine. Mit Verweis auf weitere Studien[4],[5] zeigte Dr. Jürg Traber auf, dass viele entzündliche Dermatosen der Beine mit oder ohne begleitendem Ödem eine Indikation für eine Kompressionstherapie sind. Dies wird auch in den Leitlinien so empfohlen. Es handelt sich bei der Kompressionstherapie also nicht um einen „Off label use“, sondern die Kompression ist in Bezug auf infektiöse und nichtinfektiöse Entzündungen erfolgsfördernd.


[1] Rabe E, Partsch H, Morrison N, Meissner MH, Mosti G, Lattimer CR, Carpentier PH, Gaillard S, Jünger M, Urbanek T, Hafner J, Patel M, Wu S, Caprini J, Lurie F, Hirsch T. Risks and contraindications of medical compression treatment – A critical reappraisal. An international consensus statement. Phlebology. 2020 Aug; 35(7): 447-460. doi: 10.1177/0268355520909066.

[2] Eder S., Stücker M., Läuchli S.et al. Ist die Kompressionstherapie bei Erysipel des Unterschenkels kontraindiziert? Hautarzt 72, 34–41 (2021). doi: 10.1007/s00105-020-04682-4.

[3] Webb E, Neeman T, Bowden FJ, Gaida J, Mumford V, Bissett B. Compression Therapy to Prevent Recurrent Cellulitis of the Leg. N Engl J Med. 2020 Aug 13 ;383(7): 630-639. doi: 10.1056/NEJMoa1917197. PMID: 32786188.

[4] Dissemond J, Protz K, Stücker M. Kompressionstherapie in der Dermatologie. J Dtsch Dermatol Ges. 2023 Sep; 21(9): 1003-1020. German. doi: 10.1111/ddg.15161_g. PMID: 37700410.

[5] Dissemond J, Assenheimer B, Gerber V, Kurz P, Läuchli S, Panfil E-M; Probst S, Traber J, Strohal R. Lokaltherapie chronischer Wunden: Das M.O.I.S.T.-Konzept. DMW – Deutsche Medizinische Wochenschrift 2023; 148(07): 400-405 doi: 10.1055/a-1987-4999.

Dr. Tobias Hirsch, Facharzt für Innere Medizin, Angiologie und Phlebologie aus Halle (Saale), ging auf die Kontraindikationen für Kompressionstherapie ein.

Wann ist Kompressionstherapie tatsächlich kontraindiziert

Dr. Tobias Hirsch mit Praxis für Innere Medizin und Gefäßkrankheiten in Halle klärte anschließend die Frage, ob und bei welchen Patienten die Kompressionstherapie kontraindiziert ist. Er verwies auf aktuelle Studienergebnisse2 und stellte beispielhaft eine Patientin mit Herzinsuffizienz sowie einen Patienten mit peripherer arterieller Verschlusskrankheit (PAVK) und mit Polyneuropathie vor. Sein Fazit: Die Herzinsuffizienz im Stadium NYHA I und II ist bei Lymphödempatienten keine Kontraindikation für die Kompressionstherapie. Es gilt dennoch, die betreffenden Patienten genau zu analysieren und die besondere Komplexität der Herzinsuffizienz bei der Therapie zu berücksichtigen. Während für Herzinsuffizienzpatienten im Stadium NYHA III Kompressionstherapie durchaus möglich sein kann, sind Patienten im Stadium NYHA IV dagegen von der Kompressionstherapie ausgeschlossen.

Im Falle von PAVK-Patienten sollte zunächst die arterielle Durchblutung überprüft werden, bevor mit der Kompressionstherapie begonnen wird. In den meisten Fällen reicht dazu das Tasten der Venenpulse beispielsweise im Fußbereich. Für Patienten mit einem Knöchel-Arm-Index größer 0,5 und einem absoluten Knöchelarteriendruck von 60 mmHg gelte unelastische Kompression mit einem Anpressdruck von bis zu 40 mmHg als unproblematisch[6].

Bei Neuropathiepatienten ist die Kompressionstherapie dagegen kontraindiziert. Sie merken aufgrund des fehlenden Schmerzempfindens oft nicht, ob die Kompression korrekt angelegt ist oder beispielsweise zu Einschnürungen oder Hautirritationen führt. Soll dennoch mit Kompression behandelt werden, muss der Patient gut überwacht werden. Es ist unbedingt auf die korrekte Passform und Materialität zu achten. Zu empfehlen ist in diesen Fällen Flachstrick aufgrund der höheren Stiffness dieser Strickart.


[6] Reich-Schupke und Stücker, Fachbuch „Moderne Kompressionstherapie“, Köln 2013.

Der Kompressionsstrumpf VenoTrain angioflow ist für die Therapie einer chronischen venösen Insuffizienz (CVI) bei gleichzeitig beginnender peripherer arterieller Verschlusskrankheit (pAVK) geeignet.

Quelle:

Bauerfeind-Firmensymposium „Im Zweifel für die Kompression“ anlässlich der 66. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie und Lymphologie, Freiburg im Breisgau, 04.10.2024.

Bilder: Thomas Hauss, Bauerfeind AG

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