Kompressionsstrümpfe·Venenbeschwerden

„Es gibt nur ein absolutes Ausschlusskriterium“

Diabetes und Kompressionsstrümpfe

Von Bauerfeind Life Magazin am 30.10.2014

Kurz & knapp Auch bei Diabetikern befürwortet Dr. med. Giovanna Eilers die Kompressionstherapie zur Behandlung von Venenleiden, wenn die Patienten entsprechend geschult werden und keine Kontraindikation vorliegt.  

  • Trotz eines arteriellen Leidens im Anfangsstadium kann im individuellen Fall eine Kompressionstherapie mit entsprechender Kontrolle sinnvoll sein.
  • Neuropathie ist lediglich eine relative Kontraindikation für eine Kompression.
  • Für eine erfolgreiche Therapie und die notwendige Compliance ist die Aktivierung der Motivation des Patienten ein wichtiger Ansatz.

Auch heute ist immer noch die Meinung zu hören, Diabetiker dürften in keinem Fall medizinische Kompressionsstrümpfe tragen.
Dr. med. Giovanna Eilers, Fachärztin für Innere Medizin, räumt mit diesem Vorurteil auf. Als Diabetologin DDG in der Berliner Schwerpunktpraxis Diabetes und Kardiologie sowie als zertifizierte ZRM-Trainerin und Coach für integrative Stressmedizin IAH geht sie das Thema von mehreren Seiten an.

Dr. med. Giovanna Eilers, Fachärztin für Innere Medizin.
Dr. med. Giovanna Eilers, Fachärztin für Innere Medizin.

Welche Kriterien muss ein Diabetiker erfüllen, damit bei seiner Therapie medizinische Kompressionsstrümpfe zum Einsatz kommen dürfen?
Dr. Eilers: Eigentlich müsste man die Frage anders herum stellen: Was sind die Ausschlusskriterien? Wenn ein Patient unter einer fortgeschrittenen peripheren arteriellen Verschlusskrankheit leidet , dann ist das ein absolutes Ausschlusskriterium. Bei Diabetespatienten mit arteriellen Problemen im Anfangsstadium dagegen spreche ich mich mit dem Angiologen ab, bei dem diese Patienten ja auch in Behandlung sind. Ich frage ihn, ob er im jeweiligen Fall trotz des arteriellen Leidens eine Kompressionstherapie befürworten könne. Und tatsächlich gibt mir der Gefäßspezialist in vielen Fällen grünes Licht dafür. Wie alle Risikopatienten werden diese Patienten natürlich regelmäßig einbestellt , um die Füße anzuschauen und die Entwicklung des arteriellen Leidens zu kontrollieren – und dabei auch zu überprüfen, ob die Kompressionstherapie fortgesetzt werden darf.

Häufig wird ja auch gesagt , dass Diabetespatienten mit Neuropathie keine Kompressionsstrümpfe tragen dürfen. Wie beurteilen Sie das?
Dr. Eilers: Neuropathie ist keine absolute, sondern lediglich eine relative Kontraindikation für eine Kompression. Angesichts des zentralen Stellenwerts der Kompression bei der Behandlung von Venenleiden verschreibe ich auch Patienten mit Neuropathie häufiger Kompressionsstrümpfe, solange diese nicht stark ausgeprägt ist. Dabei ist aber natürlich ganz wichtig, dass ich den Patienten aufkläre und ihm erläutere, worauf er zu achten hat. Er muss das Anlegen der Strümpfe wirklich gut beherrschen und seine Beine auch anschauen können, um Einschnürungen zu vermeiden und Druckstellen rechtzeitig zu bemerken. Die gleiche Problematik haben sie übrigens auch im Hinblick auf Schuhe: Neuropathiepatienten müssen regelmäßig ihre Füße sorgfältig anschauen und untersuchen, ob kleine Gegenstände in die Schuhe hineingeraten sind, die Druckstellen und Wunden am Fuß verursachen können. Das Risiko ist hier genauso hoch wie bei der Kompression, aber deswegen kann ich ja nicht darauf verzichten, Schuhe zu verschreiben. Und ebenso wenig kann ich darauf verzichten, zur Ulcus-cruris-Therapie medizinische Kompressionsstrümpfe zu verschreiben, wann immer das vertretbar ist. In erster Linie geht es darum, die Patienten richtig zu schulen – oder auch die Ange­hörigen, wenn die Patienten selbst nicht in der Lage sind, die Strümpfe richtig anzuziehen und den Zustand ihrer Beine zu kontrollieren.

Welche Anforderungen muss ein medizinischer Kompressionsstrumpf für Diabetiker erfüllen?
Dr. Eilers: Wichtig ist , dass der Diabetiker den Strumpf auch selbst anziehen kann. Diabetiker sind ja häufig multimorbide Patienten, deren Grob- und Feinmotorik eingeschränkt ist. Diese Patienten brauchen also einen gut anziehbaren Strumpf oder eine exzellente Anziehhilfe. Dazu kommt die Frage der Hautverträglichkeit: Meine Patienten haben oft eine ganz empfindliche Haut , die beim Tragen mancher Strümpfe extrem trocken wird, was wieder den Weg für die Entstehung neuer offener Stellen bereitet. Die eigentlichen Schwierigkeiten sehe ich aber an anderer Stelle: Wir haben wirklich exzellente Strümpfe, scheitern aber daran, dass die Patienten die Strümpfe nicht tragen. Oft werden die Patienten in dieser Richtung auch nur unzureichend unterstützt , zum Beispiel beim Schulen – auch mit der Anziehhilfe – in Sanitätshäusern.

Der VenoTrain ulcertec (links) kann im Gegensatz zu Verbänden (rechts) nicht verrutschen und übt dauerhaft den zur Heilung notwendigen Druck auf das Bein aus.
Der VenoTrain ulcertec (links) kann im Gegensatz zu Verbänden (rechts) nicht verrutschen und übt dauerhaft den zur Heilung notwendigen Druck auf das Bein aus.

Sind Diabetiker schwieriger als andere Patienten zum Tragen von Kompressionsstrümpfen zu bewegen?
Dr. Eilers: Man sollte sich immer vor Augen halten, dass Diabetes sehr viele Anforderungen verschiedenster Natur an die Patienten stellt: Sie müssen die entsprechenden Schuhe tragen, ein Blutzuckertagebuch führen und vieles andere mehr. Und dann kommen auch noch die medizinischen Kompressionsstrümpfe dazu – auch das noch! Darüber hinaus haben viele Diabetiker eine Neuropathie. Dass sie ihre Füße und Beine nicht richtig spüren können, bewirkt auch auf der Ebene des Gehirns etwas. Was ich nicht richtig spüren kann, gehört auch auf der Gefühlsebene nicht richtig zu mir. Und wenn ein Körperteil in der Wahrnehmung nicht mehr richtig vorhanden ist , schwindet auch die Motivation, etwas dafür zu tun. Diabetiker sind in gewisser Hinsicht die schwierigeren Patienten. Wegen all der angesprochenen Faktoren ist es nicht einfach, sie dazu zu bewegen, das Tragen von Kompressionsstrümpfen überhaupt zu versuchen. Ich muss aber sagen, dass der VenoTrain ulcertec, den ich Wundpatienten sehr häufig verordne, hier eine riesige Bresche geschlagen hat. Wenn die Patienten feststellen, dass sie diesen Strumpf wirklich anziehen können, ist sozusagen im Kopf schon einmal ein Weg geebnet. Und wenn die Wunde später abgeheilt ist und ich ihnen trotzdem weiterhin eine Kompression verordne, sind sie eher bereit , auch das zu probieren. Hier verordne ich lediglich Kompressionsklasse und Höhe des Strumpfs. Die letztliche Entscheidung für ein Produkt muss der Patient im Sanitätshaus fällen. Ich beobachte dabei, dass sich die Patienten und vor allem Patientinnen häufig für den VenoTrain micro entscheiden, der sie auch mit seinem Aussehen überzeugt.

Was kann man als Arzt tun, um eine möglichst hohe Akzeptanz für medizinische Kompressionsstrümpfe zu erreichen?
Dr. Eilers: Das fängt bereits damit an, dass man selber als Arzt , als Therapeut davon überzeugt sein muss. Ich trage beispielsweise Kompressionsstrümpfe, obwohl ich kein venöses Leiden habe – einfach nur deshalb, weil sich meine Beine auch am Ende eines langen Tages damit gut anfühlen. Und ich kann jedem Arzt nur empfehlen, Kompressionsstrümpfe auszuprobieren und festzustellen, was für ein angenehmes Gefühl das ist. Auf dieser Basis kann man dann versuchen, beim Patienten Vorurteile gegen den Strumpf abzubauen, ihn zu überzeugen, den Strumpf erst einmal für drei Wochen auszuprobieren. Mein großes Thema ist es darüber hinaus, die Motivation des Patienten zu aktivieren. Ich arbeite nicht nur als Ärztin, sondern auch als Coach und Trainerin. Dabei habe ich mit dem Zürcher Ressourcen Modell® oder kurz ZRM eine ideale Ergänzung zu meiner ärztlichen Tätigkeit gefunden. Bei dieser motivationspsychologischen Selbstmanagementmethode geht es darum, dass Menschen lernen können, ihre eigene Motivation zu aktivieren, und dass Patienten es so schaffen, ihre Gesundheitsziele auch langfristig umzusetzen. Hier werden wir verstärkt ansetzen müssen, wenn wir Patienten mit chronischen Wunden therapieren und die Amputationsrate verringern wollen.

Die optimale Kompressionstherapie erfordert bei Ulcus cruris venosum einen konstant hohen Arbeitsdruck und niedrigen Ruhedruck.
Die optimale Kompressionstherapie erfordert bei Ulcus cruris venosum einen konstant hohen Arbeitsdruck und niedrigen Ruhedruck.

Bilder: Bauerfeind, privat

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